Sie ist reich, berühmt und schön. Im klassischen Sinn schön,
nicht auf die oberflächliche Art wie alle anderen. Und sie weiß das. Aber das
schützt sie kein Stück. Auch sie ist ein Mensch wie alle anderen. So
zerbrechlich wie alle anderen. Oder noch zerbrechlicher?
Viel zu lange ist es schon her, dass ihr jemand gesagt hat,
wie schön sie in seinen Augen ist. In ihren Kreisen wird Schönheit als nichts
Besonderes, sondern als selbstverständlich angesehen. Seit dem letzten Mal, dass jemand ihr gesagt hat, wie
schön sie ist, sind bereits fünf Jahre verstrichen. Sinnlos. Es war ihr erster
und einziger Freund gewesen, kurz bevor sie sich fürs Filmemachen und gegen ihn
und die Kleinstadtromantik entschieden hatte.
Aber weder Reichtum und Berühmtheit noch ihre Schönheit
geben ihr Macht. Zwar hat sie tausende von Fans, aber die geben ihr nicht die
menschliche Nähe, die sie braucht. Sie kennen ja nur die Person, zu der sie die
Presse gemacht hat. Denn die wahre Macht liegt in den Händen der Presse. Sie
bestimmt, wer in und wer out ist. Wer Hipster, wer Freak ist. Sie
macht die Stars zu denen, die sie in der Öffentlichkeit sind. Sie fälschen
Fotos, Interviews und Identitäten.
„Ich bin der
Journalist, der die Ehre hat, Sie nach dem letzten Drehtag der Trilogie, durch die Sie so berühmt wurden sind, als
aller erstes zu interviewen“, sagt er in das kleine Diktiergerät. „Nun würde
mich natürlich interessieren, wie es sich anfühlt, wenn man so einen
entscheidenden Lebensabschnitt hinter sich gebracht hat.“ Es hatte sich
angefühlt, wie den Boden unter den Füßen zu verlieren und plötzlich auf die
Nase zu fliegen. „So vielversprechend es
auch angefangen hatte – keine Zukunftschancen im Filmgeschäft für Laura“, würden die Schlagzeilen
lauten. Denn wieder erwarten hatte sich keine große Filmfirma bei ihr gemeldet
um sie für die Hauptrolle in ihrem neuen Megablockbuster zu engagieren. Sollte
ihr Leben zwischen den Schönen und Reichen schon zu Ende sein? Wenn ein schlechtes
Angebot kommen würde, konnte sie sich keinen Stolz leisten, sondern müsste es
annehmen. Egal um was für einen Rolle es sich handelte, egal wie schlecht
bezahlt sie war. Sie würde so gerne von vorne anfangen und dieses Mal alles
besser machen. Aber mit der Presse im Nacken war das unmöglich. Sie hasste nichts so sehr wie das
Ausgeliefert sein der Presse gegenüber und die Unterwürfigkeit, mit der sie der
Presse entgegentreten musste, um keine schlechten Kritiken zu ernten.
„Würden sie mir bitte meine Frage beantworten?“, fragt der
Journalist mit derselben nervtötenden Hartnäckigkeit, die sie alle an den Tag
legen. „Es hat sich gut angefühlt. Zum ersten Mal seit fünf Jahren bin ich
wieder frei“, lügt sie. Sie wirft der Presse vor, zu lügen und lügt selbst den
ganzen Tag. Lügt das Publikum an indem sie ihm auf der Leinwand große Gefühle
vorgaukelt. Sie hatte nie verstanden, was die Faszination an Filmen war außer
um durch sie berühmt zu werden. Grade die traurigsten Filme kamen am besten an.
Aber wieso war das so? Wieso reichte es den Leuten nicht, über ihr eigenes
Schicksal zu weinen? Die Realität war doch Grund genug dazu.
Sie wird von Zukunftsängsten geplagt. Wider Erwarten hatte
sich keine große Filmfirma bei ihr gemeldet und sich darum gerissen, sie als
Hauptrolle für ihren neuen Megablockbuster zu bekommen. Ihre Zukunft war
vollkommen ungewiss. Sollte ihr Leben im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, als
Schöne und Reiche, Allseits-Begehrte hiermit einfach vorbei sein? Zu Ende würde
es zweifellos sein, wenn sich nicht bald etwas tun würde. Wenn nicht bald ein
Angebot kam. Egal, um welche Rolle es sich handeln würde, sie müsste sie
annehmen um zu überleben. Sie durfte sich keinen Stolz erlauben auch wenn es
sich um ein Projekt unter der Gürtellinie handeln sollte.
Sie wollte alles dagegen tun, den Presseleuten nicht neuen
Stoff á la „So vielversprechend hatte es
angefangen, doch bald wird sie wohl wieder in der Versenkung verschwinden…
Hollywood war wohl doch eine Nummer zu groß für sie“ geben.
„Sie müssten doch am allerbesten Wissen, dass ihr
Terminkalender kaum Platz für ein Interview hat“, reißt der Journalist sie aus
ihren schwarzen Gedanken. Ab jetzt werde
ich zu viel Zeit haben. „In dieser halben Stunde würde ich Sie bitten,
meinen Fragen so schnell wie möglich zu antworten. Also … Was gedenken Sie
jetzt, nachdem das Projekt vorbei ist, zu tun?“
Ihre Managerin hatte ihr empfohlen, jetzt eine kreative
Auszeit anzukündigen oder einen Luxusurlaub, doch sie wollte nicht mehr so tun,
als wäre sie perfekt.
„Was ich tun werde, geht sie einen Scheißdreck an!“, fauchte sie, sprang auf und warf dabei
den Espresso, der vor ihr auf dem edlen Glastisch in der Hotelsuite stand, um,
dem verdutzten Journalisten auf den Schoß und stürmte wutentbrannt aus dem
Zimmer. Sie rief ihre Agentin an, ließ die Termine des heutigen Abends allesamt
verlegen. Sie wollte nur noch ihre Ruhe haben.
Es hatte sich nicht gut angefühlt, als sie plötzlich frei
von ihrer Rolle gewesen war. Der Teil,
hinter dem sie sich jahrelang versteckt hatte. Wie ein schützendes Schild hatte
sie diese Rolle vor sich her geschoben, denn die gesamte Öffentlichkeit war
sowieso der Meinung gewesen, dass sie und ihre Rolle gleich zu setzten waren.
So konnte ihr wahres Selbst unerkannt bleiben. Vielleicht war ja sogar diese
Figur, die sie eigentlich nur gespielt hatte, zu ihrem Selbst geworden.
Damit hatte sie sie Regel Nummer Eins unter den
Schauspielern gebrochen wie schon viele vor ihr: „Lass die Figur, die du
spielst, nie Einfluss auf dein wirkliches Leben nehmen!“
Sie nahm ihr Smartphone aus der hinteren Hosentasche und
tippte einen neuen Beitrag auf Twitter. Gnädiger Weise hatte man mir
zugestanden, meinen twitter-Account selbst zu schreiben, zumindest zum
Teil. Zum ersten Mal lautete der Beitrag
nicht „Chillen auf Malibu“, „Clubbing in NY“ oder „OMG, der Jetlag macht mich
ja so fertig!“ mit entsprechenden Beweisfotos, meist natürlich Selfies.
Sondern der heutige Beitrag lautete: „Kathie ist tot. Ein
für alle Malte. Tot! Versteht ihr?“ Kathie war der Name der Figur gewesen, die
ich gespielt hatte.
Sie machte sich auf zu ihrem Lieblingsitaliener. Giacomo,
der junge Kellner, begrüßte sie mit einem „Chiao, Kathie!“. Anscheinend hatte
er noch nicht Twitter gescheckt. So wusste er auch nicht, was deine Begrüßung
anrichtetet: Unbändiger Zorn flammte wieder auf. Nicht einmal Giacomo, der
wusste, was sie am liebsten aß und trank, der sie jahrelang jeden zweiten Abend
bediente, sah in ihr auch nur diese Plastik-Kathie, nicht die Schauspielerin,
die dahinter stand. Er gab ihr immer einen Platz im Restaurant möglichst weit
weg vom Fenster, damit die Paparazzi möglichst wenige Schnappschüsse
erhaschten. Wie hatte sie ihm je auch nur eines ihrer Probleme anvertrauen
können?
„Dasselbe wie immer, Signorina?“ - „Weißt du was, steck dir
deine Pasta doch sonst wo hin!“
Auch hier ergriff sie die Flucht durch den Hinterausgang,
denn vorne warteten schon immer die Paparazzi. Sei ging endlich mal wieder
spazieren, so wie sie das früher immer getan hatte. Niemand folgte ihr, denn
sie hatte ihre unauffällige graue Kapuzenjacke an und die Kapuze tief ins Gesicht
gezogen und die Ray-Ban ausgepackt. Außerdem: so verkniffen, wie ihr Gesicht
war, hätte man sie nie für einen Hollywoodstar gehalten. Na gut, jetzt war sie
auch keiner mehr. Null Chance, auch nur einen mickrigen Nebenjob zu bekommen. Jeder kennt ja sie
Regel Nummer 2: „Wenn man am Tag nach dem letzten Film immer noch kein Angebot
hat, ist es vorbei.“ Und natürlich Regel
Nummer 3, die sie auch gebrochen hatte: „ Behandle Journalisten und Paparazzi
immer s als wären es deine besten Freunde, sonst werden sie dich vernichten.“
Neu an zu fangen war unmöglich mit stapelweise Artikeln und
Fotos über ihre letzten fünf Jahre. Aus Langeweile warf sie wieder einen Blick
auf ihren Account. Ein einziger Shitstorm, obwohl ihr Post noch nicht mal eine
halbe Stunde her war. Ein Bruch von Regel Nummer vier: „Wenn es dir schlecht
geht, lass es niemanden außer deiner Therapeutin wissen! Erst recht nicht die
Öffentlichkeit!“
Um dem ganzen noch einen grandiosen Höhepunkt zu verleihen,
schreib sie noch darunter: „Ich habe Kathie umgebracht! Der fünfte kommt nicht
ins Kino!“
Bereits ein paar Sekunden später kamen die ersten Antworten:
„Du hast kein Recht, mir Kathie weg zu nehmen. Sie und ihre Filme sind alles,
was ich habe. Und wenn der fünfte jetzt nicht ins Kino kommt, weiß ich nicht
einmal wie ihre Geschichte ausgeht. Wenn das passiert, bringe ich dich um.“
Die konnten einem nur leidtun, eine hoffnungslose
Romantikerin ohne eigenes Leben.
„Wenn du wissen willst, wie es ausgeht, ließ einfach das
Buch dazu. Es ist eh viel besser als die Filme. Gib dir keine Mühe, du musst
dir nicht die Finger schmutzig machen und mich umbringen. Ich mach das schon,
keine Angst“, schrieb sie zurück.
Ich konnte die Schlagzeile des nächsten Tages schon vor mir
sehen: „Kathie-Darstellerin tödlich verunglückt. Wahrscheinlich Selbstmord
wegen zu geringer Zukunftschancen im Filmbussines“
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