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Mittwoch, 3. Dezember 2014

Rich, lost and famous

Sie ist reich, berühmt und schön. Im klassischen Sinn schön, nicht auf die oberflächliche Art wie alle anderen. Und sie weiß das. Aber das schützt sie kein Stück. Auch sie ist ein Mensch wie alle anderen. So zerbrechlich wie alle anderen. Oder noch zerbrechlicher?
Viel zu lange ist es schon her, dass ihr jemand gesagt hat, wie schön sie in seinen Augen ist. In ihren Kreisen wird Schönheit als nichts Besonderes, sondern als selbstverständlich angesehen. Seit dem  letzten Mal, dass jemand ihr gesagt hat, wie schön sie ist, sind bereits fünf Jahre verstrichen. Sinnlos. Es war ihr erster und einziger Freund gewesen, kurz bevor sie sich fürs Filmemachen und gegen ihn und die Kleinstadtromantik entschieden hatte.
Aber weder Reichtum und Berühmtheit noch ihre Schönheit geben ihr Macht. Zwar hat sie tausende von Fans, aber die geben ihr nicht die menschliche Nähe, die sie braucht. Sie kennen ja nur die Person, zu der sie die Presse gemacht hat. Denn die wahre Macht liegt in den Händen der Presse. Sie bestimmt, wer in und wer out ist. Wer Hipster, wer Freak ist. Sie macht die Stars zu denen, die sie in der Öffentlichkeit sind. Sie fälschen Fotos, Interviews und Identitäten.
 „Ich bin der Journalist, der die Ehre hat, Sie nach dem letzten Drehtag der Trilogie,  durch die Sie so berühmt wurden sind, als aller erstes zu interviewen“, sagt er in das kleine Diktiergerät. „Nun würde mich natürlich interessieren, wie es sich anfühlt, wenn man so einen entscheidenden Lebensabschnitt hinter sich gebracht hat.“ Es hatte sich angefühlt, wie den Boden unter den Füßen zu verlieren und plötzlich auf die Nase zu fliegen. „So vielversprechend es auch angefangen hatte – keine Zukunftschancen im Filmgeschäft  für Laura“, würden die Schlagzeilen lauten. Denn wieder erwarten hatte sich keine große Filmfirma bei ihr gemeldet um sie für die Hauptrolle in ihrem neuen Megablockbuster zu engagieren. Sollte ihr Leben zwischen den Schönen und Reichen schon zu Ende sein? Wenn ein schlechtes Angebot kommen würde, konnte sie sich keinen Stolz leisten, sondern müsste es annehmen. Egal um was für einen Rolle es sich handelte, egal wie schlecht bezahlt sie war. Sie würde so gerne von vorne anfangen und dieses Mal alles besser machen. Aber mit der Presse im Nacken war das unmöglich.  Sie hasste nichts so sehr wie das Ausgeliefert sein der Presse gegenüber und die Unterwürfigkeit, mit der sie der Presse entgegentreten musste, um keine schlechten Kritiken zu ernten.
„Würden sie mir bitte meine Frage beantworten?“, fragt der Journalist mit derselben nervtötenden Hartnäckigkeit, die sie alle an den Tag legen. „Es hat sich gut angefühlt. Zum ersten Mal seit fünf Jahren bin ich wieder frei“, lügt sie. Sie wirft der Presse vor, zu lügen und lügt selbst den ganzen Tag. Lügt das Publikum an indem sie ihm auf der Leinwand große Gefühle vorgaukelt. Sie hatte nie verstanden, was die Faszination an Filmen war außer um durch sie berühmt zu werden. Grade die traurigsten Filme kamen am besten an. Aber wieso war das so? Wieso reichte es den Leuten nicht, über ihr eigenes Schicksal zu weinen? Die Realität war doch Grund genug dazu.
Sie wird von Zukunftsängsten geplagt. Wider Erwarten hatte sich keine große Filmfirma bei ihr gemeldet und sich darum gerissen, sie als Hauptrolle für ihren neuen Megablockbuster zu bekommen. Ihre Zukunft war vollkommen ungewiss. Sollte ihr Leben im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, als Schöne und Reiche, Allseits-Begehrte hiermit einfach vorbei sein? Zu Ende würde es zweifellos sein, wenn sich nicht bald etwas tun würde. Wenn nicht bald ein Angebot kam. Egal, um welche Rolle es sich handeln würde, sie müsste sie annehmen um zu überleben. Sie durfte sich keinen Stolz erlauben auch wenn es sich um ein Projekt unter der Gürtellinie handeln sollte.
Sie wollte alles dagegen tun, den Presseleuten nicht neuen Stoff á la „So vielversprechend hatte es angefangen, doch bald wird sie wohl wieder in der Versenkung verschwinden… Hollywood war wohl doch eine Nummer zu groß für sie“ geben.
„Sie müssten doch am allerbesten Wissen, dass ihr Terminkalender kaum Platz für ein Interview hat“, reißt der Journalist sie aus ihren schwarzen Gedanken. Ab jetzt werde ich zu viel Zeit haben. „In dieser halben Stunde würde ich Sie bitten, meinen Fragen so schnell wie möglich zu antworten. Also … Was gedenken Sie jetzt, nachdem das Projekt vorbei ist, zu tun?“
Ihre Managerin hatte ihr empfohlen, jetzt eine kreative Auszeit anzukündigen oder einen Luxusurlaub, doch sie wollte nicht mehr so tun, als wäre sie perfekt.
„Was ich tun werde, geht sie einen  Scheißdreck  an!“, fauchte sie, sprang auf und warf dabei den Espresso, der vor ihr auf dem edlen Glastisch in der Hotelsuite stand, um, dem verdutzten Journalisten auf den Schoß und stürmte wutentbrannt aus dem Zimmer. Sie rief ihre Agentin an, ließ die Termine des heutigen Abends allesamt verlegen. Sie wollte nur noch ihre Ruhe haben.
Es hatte sich nicht gut angefühlt, als sie plötzlich frei von ihrer Rolle gewesen war.  Der Teil, hinter dem sie sich jahrelang versteckt hatte. Wie ein schützendes Schild hatte sie diese Rolle vor sich her geschoben, denn die gesamte Öffentlichkeit war sowieso der Meinung gewesen, dass sie und ihre Rolle gleich zu setzten waren. So konnte ihr wahres Selbst unerkannt bleiben. Vielleicht war ja sogar diese Figur, die sie eigentlich nur gespielt hatte, zu ihrem Selbst geworden.
Damit hatte sie sie Regel Nummer Eins unter den Schauspielern gebrochen wie schon viele vor ihr: „Lass die Figur, die du spielst, nie Einfluss auf dein wirkliches Leben nehmen!“
Sie nahm ihr Smartphone aus der hinteren Hosentasche und tippte einen neuen Beitrag auf Twitter. Gnädiger Weise hatte man mir zugestanden, meinen twitter-Account selbst zu schreiben, zumindest zum Teil.  Zum ersten Mal lautete der Beitrag nicht „Chillen auf Malibu“, „Clubbing in NY“ oder „OMG, der Jetlag macht mich ja so fertig!“ mit entsprechenden Beweisfotos, meist natürlich Selfies.
Sondern der heutige Beitrag lautete: „Kathie ist tot. Ein für alle Malte. Tot! Versteht ihr?“ Kathie war der Name der Figur gewesen, die ich gespielt hatte.
Sie machte sich auf zu ihrem Lieblingsitaliener. Giacomo, der junge Kellner, begrüßte sie mit einem „Chiao, Kathie!“. Anscheinend hatte er noch nicht Twitter gescheckt. So wusste er auch nicht, was deine Begrüßung anrichtetet: Unbändiger Zorn flammte wieder auf. Nicht einmal Giacomo, der wusste, was sie am liebsten aß und trank, der sie jahrelang jeden zweiten Abend bediente, sah in ihr auch nur diese Plastik-Kathie, nicht die Schauspielerin, die dahinter stand. Er gab ihr immer einen Platz im Restaurant möglichst weit weg vom Fenster, damit die Paparazzi möglichst wenige Schnappschüsse erhaschten. Wie hatte sie ihm je auch nur eines ihrer Probleme anvertrauen können?
„Dasselbe wie immer, Signorina?“ - „Weißt du was, steck dir deine Pasta doch sonst wo hin!“
Auch hier ergriff sie die Flucht durch den Hinterausgang, denn vorne warteten schon immer die Paparazzi. Sei ging endlich mal wieder spazieren, so wie sie das früher immer getan hatte. Niemand folgte ihr, denn sie hatte ihre unauffällige graue Kapuzenjacke an und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und die Ray-Ban ausgepackt. Außerdem: so verkniffen, wie ihr Gesicht war, hätte man sie nie für einen Hollywoodstar gehalten. Na gut, jetzt war sie auch keiner mehr. Null Chance, auch nur einen mickrigen  Nebenjob zu bekommen. Jeder kennt ja sie Regel Nummer 2: „Wenn man am Tag nach dem letzten Film immer noch kein Angebot hat, ist es vorbei.“  Und natürlich Regel Nummer 3, die sie auch gebrochen hatte: „ Behandle Journalisten und Paparazzi immer s als wären es deine besten Freunde, sonst werden sie dich vernichten.“
Neu an zu fangen war unmöglich mit stapelweise Artikeln und Fotos über ihre letzten fünf Jahre. Aus Langeweile warf sie wieder einen Blick auf ihren Account. Ein einziger Shitstorm, obwohl ihr Post noch nicht mal eine halbe Stunde her war. Ein Bruch von Regel Nummer vier: „Wenn es dir schlecht geht, lass es niemanden außer deiner Therapeutin wissen! Erst recht nicht die Öffentlichkeit!“
Um dem ganzen noch einen grandiosen Höhepunkt zu verleihen, schreib sie noch darunter: „Ich habe Kathie umgebracht! Der fünfte kommt nicht ins Kino!“
Bereits ein paar Sekunden später kamen die ersten Antworten: „Du hast kein Recht, mir Kathie weg zu nehmen. Sie und ihre Filme sind alles, was ich habe. Und wenn der fünfte jetzt nicht ins Kino kommt, weiß ich nicht einmal wie ihre Geschichte ausgeht. Wenn das passiert, bringe ich dich um.“
Die konnten einem nur leidtun, eine hoffnungslose Romantikerin ohne eigenes Leben.
„Wenn du wissen willst, wie es ausgeht, ließ einfach das Buch dazu. Es ist eh viel besser als die Filme. Gib dir keine Mühe, du musst dir nicht die Finger schmutzig machen und mich umbringen. Ich mach das schon, keine Angst“, schrieb sie zurück.

Ich konnte die Schlagzeile des nächsten Tages schon vor mir sehen: „Kathie-Darstellerin tödlich verunglückt. Wahrscheinlich Selbstmord wegen zu geringer Zukunftschancen im Filmbussines“

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